„Literacy“, was ist das eigentlich? – Ev. Kinderwelt Dinslaken

Literacy ist ein Begriff aus dem Englischen, für den es keine einheitliche Entsprechung im Deutschen gibt, sondern bei dem eher mit Umschreibungen gearbeitet wird. So werden unter Literacy im deutschsprachigen Raum die Vorläuferfähigkeiten verstanden, die der Entwicklung des Lesens und Schreibens vorangehen. Kinder sollen also positive Erfahrungen mit Erzähl-, Sprach- und Schriftkultur machen.

Wenn Literacy schon im Elementarbereich – also in der Kita – erfolgreich vermittelt wird, fällt es Kindern in der Schule leichter, Fähigkeiten wie Schreiben, Lesen und Textverständnis zu erwerben. Die Beschäftigung mit Geschichten, Buchstaben und Büchern schon im Kindergartenalter schafft positive Verknüpfungen und macht Lust auf das Lesen und Schreiben.

Wer hat nicht sofort das Bild vor Augen, wie Kinder mit einEr ErzieherIn auf dem Boden in der Kuschelecke sitzen und mit leuchtenden Augen gemeinsam ein Buch anschauen!? Neben dem Teppich steht ein Wagen mit Büchern für verschiedene Altersstufen und Interessen: Da sind Bücher zu finden aus der Reihe „Wieso-Weshalb-Warum“ zu allen möglichen Sachthemen, die „Freunde“ – der dicke Waldemar, Franz von Hahn und Johnny Mauser – fahren mit ihrem Fahrrad an einem Kornfeld vorbei, Wimmelbücher laden zum Suchen und Finden ein, „Ramas Flucht“ auf Deutsch und Arabisch und der Dauerbrenner „Die kleine Raupe Nimmersatt“, die auch die Eltern noch kennen und lieben.

Wimmelbücher sind Bücher mit wenig bis gar keinem Text, dafür aber mit vielen Elementen, Figuren und Handlungen. Nebenan sehen Sie ein kunterbuntes Kinderzimmer. Suchen Sie doch mal – hmmm – die Tasse, das Telefon und die Kanne. Wenn Sie sie gefunden haben, denken Sie sich einfach mal eine kleine Geschichte dazu aus…

Doch nicht nur das gemeinsame Lesen mit Kindern ist Literacy, auch zB Hören und Sprechen sowie Erfahrungen mit Schrift gehören zu diesem Bereich. Beim Hören und Sprechen leistet das Kind mit zunehmender Entwicklung Schwerstarbeit. Und das – bei angemessener Anregung – ganz nebenbei. Ihm wird bewusst, dass das, was es hört, in Einheiten aufgeteilt ist, Wörter zB. Dieses Einheiten können zu Sätzen zusammengefasst werden und ergeben dann einen Sinn.

So spricht das Kind zunächst nur in Ein-Wort-Sätzen: zB „T’inken!“ und zeigt auf die Wasserflasche. In der Familie wird das natürlich gut verstanden. Einige Zeit später kommt das nächste Wort dazu: „Mia t’inken!“ Und das nächste: „Mia Wasser trinken!“ Dann kommt dem Kind die Erkenntnis: So ein Wort ist auch in Silben unterteilt. Vielleicht fängt es an, Quatschreime zu bilden. Besonders in der Kita fällt das auf, wenn zwei Freunde ganz versunken auf dem Bauteppich sitzen, Quatschreime bilden und sich dabei kaputtlachen.

Quatschreime sind Reime, die eigentlich keinen „Sinn“ machen. Sie werden von Kindern gerne aus Spaß an der Freude gebildet und sind eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung von phonologischer Bewusstheit, zB „bellen-sellen-kellen-tellen-mellen-metzen-matzen-katzen-fatzen-datzen“. Kinder erfahren so ganz spielerisch und von alleine, dass man Wörter in Silben unterteilen kann. Gleichzeitig erleben sie, dass ein Laut bedeutungsunterscheidend bei gleichbleibendem Rest sein kann: K-atzen – T-atzen. Es geht aber nicht nur um Reime, sondern auch um Wörter, die sich nicht reimen, sich aber auch nur durch einen Laut unterscheiden, zB Beet und Boot. Diese Wörter zusammen mit den Reimen nennt man „Minimalpaare“. Versuchen Sie es doch einfach mal mit der nebenstehenden Übung. Die Auflösung gibt’s im Download

Nach dem Entdecken von Silben erfolgt das Zerlegen (Segmentieren) der Sprache in einzelne Laute. Dem Kind fällt zB auf, dass sich bei Verben (Tu-Wörter wie zB „sitzen“) die Endung ändert. Und es verinnerlicht die entsprechenden Regeln: Ich sitz-e, er sitz-t. Komisch, hinten ändert es sich, aber vorne bleibt es gleich? Der sogenannte Anlaut – der erste Laut im Wort – wird am leichtesten isoliert. Schwieriger wird es am Ende und in der Mitte.

Das Geniale daran ist: Wir brauchen es den Kindern nicht beizubringen. Sie lernen es von ganz alleine. Aber unterstützen können wir sie, zB, indem wir mit ihnen in der Kuschelecke auf dem Teppich sitzen und mit ihnen ein Buch anschauen. Indem wir – zB mit Eltern zusammen – in verschiedenen Sprachen vorlesen. Indem wir Anlässe für Rollenspiele bieten, indem wir Fingerspiele machen und singen. Indem wir Schreibwerkstätten bereithalten, in denen Kinder Erfahrungen mit Buchstaben machen können.

Phonologische Bewusstheit ist die Fähigkeit, die Kindern erlaubt, gesprochene Sprache in einzelne Segmente zu zerlegen, aus denen letztendlich unsere Schriftsprache besteht. Zunächst sind es Wörter im Satz, dann Silben, dann Laute, die im geschriebenen Deutschen in der Regel einem Buchstaben entsprechen. Helfen können wir Kindern besonders gut, indem wir beim Sprechen deutlich und sichtbar artikulieren.

Auch zu Hause können wir viel für die Vorläuferfähigkeiten für das Lesen und Schreiben tun: Wir können vorlesen und Bilderbücher schauen, in der Kita- oder Stadt(teil)bücherei etwas ausleihen, mit unseren Kindern reimen und singen. Mit ihnen den Tag besprechen oder die Dinge, die wir gerade erleben. Vor allem auch: unsere Kinder sprechen und erzählen lassen

PS: Auf unserem Kalender für den November finden Sie zu diesem Thema noch einen Hinweis. Viele Kitas planen dazu Aktionen. Fragen Sie einfach nach!

Text: Isabel Uhlenhut
Bilder: Pixabay